Landschaften wie auf der Kinoleinwand, Geschichten wie im Historien-Krimi, Naturerlebnisse, die in Mitteleuropa selten geworden sind – Schottland hat sie! Wer mit dem Wohnmobil reist, wird sie umso intensiver erleben.
Von weitem ist das Seehundbaby kaum zu erkennen. Sein hellgraues Fell verschmilzt farblich mit den Kieselsteinen am Ufer der Isle of May, wo es erst vor zwei Tagen zur Welt gekommen war. Die Tarnung ist perfekt! Wie gut, dass das Zoom der Kamera, die einige hundert Meter entfernt an den Klippen angebracht wurde, noch weitaus mehr kann. Das Objektiv wurde speziell fur die Beobachtung weit entfernter Tiere entwickelt und bietet zudem manuelle Steuerungsmöglichkeiten. Nur ein paar sanfte Bewegungen mit dem Joystick und die Besucher im Seabird Centre in North Berwick sind ganz nah dran. Auf dem Bildschirm wirkt der kleine Wonneproben mit seinen schwarzen Kulleraugen nun zum Greifen nah. „Mama, der guckt mich an“, ruft ein kleines Mädchen aufgeregt – ein unvergessliches Erlebnis! Nunja – zumindest fur kleinere Kinder!
Urlaub auch für Teenager
Die Teenager Vincent und Johannes sind eher an der Technik interessiert, mit deren Hilfe sich die interaktiven Live-Kameras steuern lassen, die auf mehreren Inseln an Schottlands Ostküte installiert wurden. Die imposanteste ist der Bass Rock. Der Felsenklotz aus schwarzem Basalt ragt knapp zwei Kilometer vom Festland entfernt aus der Nordsee und beherbergt eine der größten Basstölpel-Kolonien der Welt. Aber auch Eissturmvögeln, Trottellummen und den niedlichen Papageientauchern können Besucher im Seabird Centre mit Hilfe der Kameras ins Nest gucken, ohne dass die Tiere dadurch beim Bruten gestört werden.
Es ist also ein rundum gelungener Einstieg in dieser Wohnmobilreise quer durch Schottland, bei der – wie sich zeigen wird – die Beobachtung von Tieren viel Raum einnehmen wird.
Weiter geht es in den Norden
Auf der Weiterfahrt in den Norden ist jedoch erst mal eine Lektion in schottischer Geschichte angesagt. Ganz in der Nähe der Stadt Stirling ragt auf einem Hugel das Wallace Monument in den stahlblauen Himmel auf. 67 Meter hoch ist der Turm, mit dem die Schotten 1869 ihrem nationalen Helden ein Denkmal gesetzt haben: William Wallace. Die Söhne kennen ihn aus dem Film „Braveheart“. Seit sie den Hollywood-Streifen im Fernsehen anschauen durften, waren sie ganz wild darauf, die Heimat dieses verwegenen Draufgängers kennen zu lernen, dessen Schwert (bewiesen ist das freilich nicht!) imzweiten Stock des Wallace-Monuments ausgestellt ist. Der Legende nach hat er mit dem Zweihänder 50 Gegner hintereinander getötet. Während die Eltern die grandiose Aussicht von der Turmspitze auf die umliegenden Hugel und die Burg von Stirling genießen, analysieren die Söhne die – aus schottischer Sicht – äußerst günstige Lage des Schlachtfelds an der Stirling Bridge, das man von hier oben ebenfalls sehr gut uberblicken kann. Tatsächlich brachten die Schotten unter dem Kommando von Wallace den Engländern im Jahr 1297 hier eine vernichtende Niederlage bei.
Stiling Bridge
In der langen Geschichte blutiger Auseinandersetzungen zwischen den beiden Völkern ist der schottische Sieg an Stirling Bridge jedoch eher die Ausnahme. Meistens siegten die Engländer. Der letzte Kampf liegt schon lange zurück: Die Schlacht von Culloden im Jahr 1746. Sie dauerte nur gut eine halbe Stunde, doch die Folgen sind bis heute sichtbar. Wo einst Tausende Kleinbauern das karge Land bewirtschaften, dehnen sich heute unendliche Graslandschaften aus, auf denen Rinder, vor allem aber unzählige Schafe weiden. Nach der Niederlage der Highländer in Culloden fiel ein Großteil des Landes an englische Großgrundbesitzer und an Schafzüchter aus dem schottischen Flachland, die die Kleinbauern verjagten – die Ruinen der Bauernhäuser zeugen bis heute von den oft gewaltsamen Vertreibungen, den sogenannten Highland Clearances. Doch was einst der Schotten Leid war, ist heute der Touristen Freud. Denn natürlich machen die große Einsamkeit, das Fehlen von Zivilisation und die große Stille den besonderen Reiz einer Reise durch die Highlands aus.
Hirsche stehen neben dem Wohnmobil
Zwischen den teils schroffen Gipfeln, die die Schotten liebevoll Munros nennen, breiten sich Täler und Hochmoore aus, deren baumlose Ebenen an das Mittelerde aus der „Herr der Ringe“ erinnern. Doch nach Orks, Elben oder Zwergen halten die Jungs vergeblich Ausschau. Stattdessen blockieren wiederkäuende Wollknäuel die Straße und selbst die Hirsche sind hier erstaunlich zutraulich. Ein prächtiger Sechsender äst friedlich nur fünf Meter vom Wohnmobil entfernt. Erst als die Teenager mit ihren Handykameras aus dem Fahrzeug purzeln, gibt er Fersengeld. Für ein Foto hat es trotzdem noch gereicht.
Fur die Schulfreunde abgelichtet werden dann etwas später auch die verwitterten Gedenksteine, an die weit über 12 500 Highländer, die auf dem Schlachtfeld von Culloden ihr Leben verloren: Mac Donald, Campbell, MacLeod, Fraser. Es gab so viele Tote, dass die Gefallenen grob nach Clanzugehörigkeit sortiert in Massengräbern verscharrt wurden. Das Besucherzentrum mit Ausstellung, die die Geschichte vor, während und nach der Schlacht vermittelt, ist unbedingt sehenswert.
An der Ostküste entlang
Nach Culloden geht die Fahrt weiter nordwärts immer an der Ostküste entlang. Lunchpause im malerischen Örtchen Dornoch, Sehnsuchtsort der Bestseller-Autorin Rosamunde Pilcher. Vorbei am majestätischen Dunrobin Castle, dem Stammsitz des Clans der Sutherlands – das Familienticket für umgerechnet knapp 40 Euro ist uns schlicht zu teuer! In Helmsdale biegt die Straße scharf links nach Nordwesten ab. Wie ein Band aus Asphalt windet sie sich nun durch Landschaften, deren Antlitz sich fast Minutentakt ändert. Mit Erika bewachsene Hügel, weichen flachen Hochebenen, auf denen ein Geflecht von Wasserläufen, Tümpeln und Seen verheißungsvoll in der Sonne glitzern. Gegenverkehr gibt es kaum. Deshalb ist die meist einspurige Straße auch mit dem Wohnmobil problemlos zu befahren. Entgegenkommende Autos warten geduldig in einer der Ausweichstellen. Bei Campern wird kurzerhand der Spiegel eingeklappt. Nach unzähligen Kurven und vielen Ahhhs und Ohhhs ist dann ganz plötzlich die Nordküste erreicht, die mit ihren sanft geschwungenen Sandstränden und dem türkisfarbenen Wasser geradezu karibisch anmutet. Nur ein bisschen wärmer müsste es sein!
Übernachten direkt am Strand
Übernachtet wird – wie so oft – wild, auf einem Parkplatz direkt am Strand, denn hier gibt es sie tatsächlich noch: Plätze in traumhafter Lage ohne Verbotsschilder! Am nächsten Morgen wandern wir nach dem Frühstück das letzte Stück zu Fuß bis zum Ende Großbritanniens: Dunnet Head. Die Halbinsel mit ihrem hübschen weiß-gelb-gestrichenen Leuchtturm, ist der nördlichste Punkt der britischen Hauptinsel. Bei gutem Wetter kann man von hier aus die Orkney Inseln sehen. Und die Seehunde beobachten, die am Fuße der Klippen ihre Babys säugen. Grau in Grau. Perfekt getarnt zwischen den Steinen kann man sie kaum erkennen. Leider sind die interaktiven Kameras und der Joystick weit weg. Wie gut, dass der Vater und Chauffeur an die Ferngläser gedacht hat!
Ein Bericht von Christine Neubauer
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