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Lockruf der Einsamkeit

Lockruf der Einsamkeit

Reisetipps

Geschichtsträchtige Orte und beeindruckende Landschaften – was wäre besser geeignet als ein Reisemobil, um Schottland zu entdecken?

Mit Whisky, Kilt und Dudelsack hat man nach landläufiger Meinung alle schottischen Errungenschaften beisammen. Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dem eigentlich gar nicht so ist: Sackpfeifen kennt man in ganz Europa, auf Männerröcke schwörten schon die Frühmenschen und die Erfindung des Whiskys beanspruchen ohnehin die Iren für sich. Befreien wir uns also von der Vorstellung, an jeder Ecke auf Rock-Musiker mit Bagpipe zu treffen. Freuen wir uns stattdessen auf atemberaubende, einsame Landschaften und eine kleine Verköstigung schottischen Whiskys, der immerhin Weltruf genießt.

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Nach unserer Ankunft mit der Fähre im südenglischen Newcastle geht es mitten hinein in die Borders-Region, die England von Schottland trennt. Im wörtlichen Sinne sogar: Die Reste der von Kaiser Hadrian erbauten Schutzmauer gegen die ach so kriegerischen Volksstämme Schottlands schält sich heute noch – nach bald 2.000 Jahren, gut nachvollziehbar auf der gesamten Fahrt nach Carlisle – aus dem englischen Ackerboden. Genau hier verlief um 100 n. Chr. die nördlichste Grenze des Römischen Reiches, die Zeugnis davon ablegt, dass die Römer während ihrer mehr als 400-jährigen Besatzung nie die vollständige Herrschaft über Britanniens Barbaren erlangten. Wir schlagen einen Haken und überqueren auf einer schmalen Nebenstraße im Kershope Forest die offizielle Grenzlinie. Die spärlichen Anbindungen von England zum nördlichen Inselnachbarn haben Tradition. Es gab Zeiten, da wäre man sogar froh gewesen, wenn die Reisenden die Borders-Region schnell wieder verlassen hätten. Spuren der Grenzlandkriege zwischen 1147 und 1482 findet man allerorten, und dem romantisch-verklärten Bild vieler Poeten ist es zu verdanken, dass sich vor allem die mächtigen Ruinen der Kathedralen von Kelso, Jedburgh oder Melrose zu ausgesprochenen Besuchermagneten entwickelt haben.

Uns hat es da eher das Hermitage Castle angetan, eine halbverfallene Burg aus dem 13. Jahrhundert und völlig abseits der Touristenpfade, die gleichzeitig zu den unheimlichsten des Landes zählt. Oberhalb eines Baches, der von knorrigen und wild bemoosten Bäumen flankiert wird, ragt der klotzige Bau mit seinen schmalen Fensterschlitzen imposant aus der Hügellandschaft. Hermitage Castle war bekannt als das Wachhaus des blutigsten Tals. Off-the-beaten-tracks bleiben wir auch in der Folge, selbst wenn wir uns bis nahe an den Dunstkreis Glasgows begeben. Nur etwa 40 Kilometer südöstlich befindet sich die ehemalige Arbeitersiedlung rund um die Baumwollfabrik von New Lanark. Die setzte vor allem wegen revolutionärer gesellschaftlicher Konzepte wie kostenlose Schulbildung oder medizinischer Versorgung einen Meilenstein für ganz Großbritannien. Heute ein UNESCO-Kulturerbe mit perfektem Besucherprogramm und beeindruckenden audiovisuellen Touren.

Schottland mit dem Wohnmobil

Das nächste Zwischenziel bietet Gelegenheit zum Durchatmen: Die Isle of Skye, ohne Zweifel die romantischste und zugleich wildeste der Hebriden- Inseln. Eilean a‘ Cheò – Insel des Nebels – heißt das ausgedehnte Eiland auf schottisch-gälisch, das unmittelbar vor der Westküste im Atlantik liegt. Die ganze Insel, zu der man bequem über eine moderne Brücke gelangt, besteht aus Vulkangestein, das vor rund 70 Millionen Jahren aus dem Inselinneren geschleudert wurde. Skye war Schauplatz der dramatischen Abenteuer von Bonnie Prince Charlie, dessen legendäre Gestalt fester Bestandteil der Inselfolklore ist.

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Charles Edward Stuart, so sein richtiger Name, wollte 1745 den schottischen und englischen Thron für die Familie zurückzugewinnen. Gemeinsam mit den Schotten eroberte er sogar Edinburgh, wurde ein Jahr später aber in den Highlands vernichtend geschlagen. Trotz stattlichen Kopfgeldes konnte er, verkleidet als Zofe, rüber nach Skye fliehen. Auf den Spuren des glücklosen Prinzen kommen wir nach Luib an Grianaig. Hier hatte bis vor wenigen Jahren ein altes Torfstecherhaus (crofter house) seine Tore für Besucher geöffnet mit einem Zimmer, in dem der Inselheld Unterschlupf gefunden haben soll. Übrig sind davon nur noch die Außenmauern, das Dach ist bei einem Wintersturm eingestürzt. Doch Mike, auf dessen Grundstück die Ruine steht, ist froh, dass der Besucherrummel vorbei ist. Schließlich kann er sich so wieder voll und ganz der Schafzucht widmen.Rund acht Kilometer westlich von Skyes bekanntestem Hotel bei Sligachan nehmen wir die Abzweigung zur Talisker Bay, die hier am Ende eines gewaltigen Eiszeittals liegt. Von der Parkmöglichkeit an einer Straßengabelung führt der Fußweg etwa einen Kilometer hinunter zum Meer, wo kürbisgroße Steinkiesel und ein 80 Meter hoher Wasserfall zu bestaunen sind. Gegenüber am Südufer des Loch Harport in Carbost lockt die malerisch gelegene Talisker Distillery, die für ihren edlen Single-Malt mit rauchig-voller Note bekannt ist. Besichtigen und probieren ist gleichermaßen möglich (Vorabinfo unter www.discovering-distilleries.com).

Ein weiteres Stranderlebnis steht am nördlichen Ende von Skye auf der Halbinsel Waternish an. Nahe dem Ort Dunvegan hat die Natur einen Korallenstrand (coral beach) geschaffen, dessen typische Kalkbäumchen von Sand und Meerwasser blank poliert wurden – und die unter jedem Schritt knirschen. Als idealer Ausgangspunkt zu Ausflügen und Wanderungen auf der Insel diente uns der schlichte Campingplatz von Sligachan. Die Atmosphäre auf dem Platz wird geprägt von der großen Familie der Rucksacktouristen und von Campern. Im 300 Meter entfernten Hotel stehen leckere Steaks auf der Speisekarte; ans schottische Nationalgericht, das Haggis, einem mit Innereien gefüllten Schafmagen, haben wir uns wieder nicht gewagt.Entlang der landschaftlich grandiosen Westküste steuern wir unser nächstes Etappenziel an: die schottische Nordküste. Die Straßen verjüngen sich hier oben zu single-track-roads, einspurigen Fahrbahnen, mit sogenannten passing places, Wartebuchten in die entgegenkommende Fahrzeuge ausweichen können.

Autofahren ist in diesem Teil des Landes trotz Linksverkehr ein lockeres Vergnügen. Immer ein freundliches Winken, nicht selten ein kurzer Plausch mit dem Gegenüber – und schneller als 50 Stundenkilometer fährt auf diesen Nebenstraßen ohnehin keiner, denn hinter jeder Kurve ist mit Hirschen, Schafen oder zumindest mit Kaninchen zu rechnen, die sich breit machen.

Reisebericht Schottland

Ungleich lieblicher als die wilde Westküste präsentiert sich der Norden mit tief einschneidenden Lochs und einer Reihe von gewaltigen Sandstränden, die bei Ebbe hunderte Meter weit trockengelegt werden. Zu einem langen Strandspaziergang lädt der traumhafte Balnakeil Beach bei Durness ein. Ein Parkplatz liegt am Ende der Straße bei den Überresten der Balnakeil Church aus dem 12. Jahrhundert mit ihrem verwilderten Friedhof. Dort hat der berüchtigte „Rob Roy des Nordens“, der Räuber und 18-fache Mörder Donald MacLeod seine letzte Ruhestätte gefunden. Wer die Gegend um Durness, etwa die Wikingerhöhle Smoo Cave oder das stürmische Kap Wrath ausgiebiger besichtigen will, findet im Ort einen Campingplatz.

Letztes Highlight ist die Insel Orkney. Wir ergattern einen Platz auf der Fähre der Pentland Ferries zwischen Gills Bay und dem kleinen Ort St. Margaret‘s Hope. Eineinhalb Stunden dauert die Überfahrt und trotz der geringen Entfernung scheinen die Orkneys meilenweit entfernt zu sein. Kein Wunder, denn noch bis ins 17. Jahrhundert drückten die Wikinger der Insel den Stempel auf. Getrunken wird hier noch heute aus Hörnern, Flöte und Fiddel ersetzen Dudelsacktöne. Und Kilts sind hier völlig unbekannt. Abseits der zerrütteten Küstenstreifen mit ihren kreischenden Vogelkolonien locken vor allem die vielen mystischen Stätten. Aus dem pulsierenden Hauptort Kirkwall geht es vorbei an der Bucht von Scapa Flow – wo sich fast die gesamte deutsche Kriegsflotte im ersten Weltkrieg selbst versenkte – und weiter zum Steinkreis Ring of Brodgar. Auch wenn von den ursprünglichen 60 Monolithen nur noch 36 Wind und Wetter trotzen, das frei zugängliche Gelände hat eine außergewöhnliche Atmosphäre und sind doch für die Wissenschaft ein Rätsel. Fast vollständig entschlüsselt ist hingegen das Leben der Menschen in den 5.000 Jahre alten Erdwohnungen von Skara Brae, die das Meer frei gewaschen hat. Unglaublich, selbst Betten und Schminktische aus Stein gab es damals schon. Ein nachdenklich- beeindruckender Ort und ein guter Moment, um bei einem guten Schluck der Sonne zuzuschauen, wie sie langsam im Meer versinkt. Und mag es sich noch so kitschig anhören: Genau jetzt, wenn gerade die rauchige Schärfe des dunklen 18-jährigen Whisky die Kehle kitzelt, eben jetzt vermissen wir den Kilt tragenden Bagpiper doch ganz besonders.

Andreas Neumeier

Empfehlung: Auf 680 Seiten hat Andreas Neumeier alles Wissenswertes zum Festland und zur Inselwelt in seinem Taschenbuch über Schottland zusammengefasst (ISBN-978-3-89953-634-8).